Am Beispiel des Mauerschau-Projektes möchte ich in diesem Blog den Wandel von Kulturgütermärkten für audiovisuelle Medien beschreiben. Der Fokus liegt dabei auf den praktischen Erfahrungen, die ich bei der Entwicklung, Finanzierung, Produktion sowie dem Vertrieb und Marketing unseres transmedialen Projektes gesammelt habe – und in Zukunft noch machen werde. Aktuell forsche ich im Rahmen meiner Forschungsstelle am Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft zu den hindernden und fördernden Faktoren des Startup-Ökosystems. Darauf aufbauend sowie auf meinen Erfahrungen als Rechtsanwalt für Urheber- und Internettechnologierecht, möchte ich die Herausforderungen der Mauerschau-Produktion in die ökonomischen, rechtlichen und auch sozial(psychologisch)en Rahmenbedingungen bzw. Muster einordnen. Ob diese tatsächlich wie von mir beschrieben existieren, gibt – so viel ist klar – Anlass zur Diskussion. Und so freue ich mich über jeden ernst gemeinten Kommentar.
Das Hin- und Herpendeln zwischen praktischen Erfahrungen und einer eher theoretischen Betrachtung zieht sich schon seit Längerem durch meinen Lebenslauf. Im Jahr 2000 wollte ich noch Regisseur werden. Aber nach eineinhalb Jahren Set-Erfahrung habe ich die Ruhe einer Jura-Bibliothek dem militärischen Ton am deutschen Film-Set vorgezogen. Sieben Jahre später fand ich mich als Rechtsassessor mit Schwerpunkt auf Urheber- und Medienrecht beim Film wieder. In der Abteilung Legal and Business Affairs der Ufa bereitete ich Thesenpapiere für die medienrechtspolitische Debatte vor. Massives Filesharing stellte die Vertriebsstrukturen der alten Medienindustrie in Frage und ein stärkeres Urheberrecht „gegen“ das Internet stand relativ weit oben auf der Agenda der öffentlichen Diskussion. Demgegenüber war die Ufa bereits damals im Jahr 2010 fortschrittlich. Das Ufa Lab nahm die Konvergenz der Medien und das geänderte Nutzerverhalten in den Fokus, indem es mit transmedialen Online-Produktionen experimentierte. In der Legal and Business Affairs-Abteilung bekam ich das nur aus der Vogelperspektive mit. Eine unbefriedigende Erfahrung, konnte die Innovation, die für die Neuausrichtung von Medienproduktionen auf das geänderte Nutzungsverhalten nötig war, doch nur aus dem Markt kommen – nicht aus seiner Regulierung. Neben meinem Studium hatte ich weiterhin stets kreativ beim Radio, Fernsehen und für Printmedien gejobbt. In Zeiten der Medienkonvergenz musste ich zum innovativen Wandel unbedingt wieder direkter beitragen.
Nach sieben Wochen bei der Ufa hörte ich also auch schon wieder auf. Von Medienproduktionen kannte ich zwar die kreative Seite und auch ihre rechtlichen Bedingungen, aber von den Marktstrukturen und den Mechanismen wusste ich nur wenig. Also begann ich am Atelier Ludwigsburg-Paris eine Ausbildung zum europäischen Filmproduzenten. Dort kam ich über eine Kooperation mit dem Studiengang „Interaktive Medien“ mit Transmedia Storytelling in Berührung. Mit dem Fernsehsender Arte initiierten wir das Portal Atelier Ludwigsburg-Paris auf Arte creative, das leider weit hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben ist. Die Anstrengungen, die auf institutioneller Ebene für diese „Online-Erweiterung“ unserer Kurzfilmproduktionen nötig waren, hatten unser Zeitbudget schlicht aufgefressen. Das war ein erster Vorgeschmack auf die Herausforderungen, die sich bei transmedialen Produktionen stellen: Erstens, die Vorsicht der Entscheider vor dem unbewährten Neuen; zweitens, die zeitraubenden Kommunikationsprozesse, die bei der Kombination zunächst getrennter Medienstrukturen zwangsläufig entstehen. Für mich wurde offensichtlich, dass es länger dauern wird, bis man sich mit transmedialen Produktionen über Wasser halten wird. Klassische Filme wollte ich trotzdem nicht produzieren. Ich fand es schlicht absurd: Der Filmmarkt leidet bekanntlich nicht nur unter seiner eigenen Überproduktion und Unterdistribution. Mit den Neuen Medien entstand zugleich ein enormes Überangebot alternativer Unterhaltungsformen. Wie sollte der einzelne Film die erforderliche Aufmerksamkeit erreichen, um die hohen Kosten klassischer Produktionsformen über die Auswertung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte zu re-monetarisieren?
Zurück in Berlin begann ich, vormittags als Rechtsanwalt Film- und Fernsehproduzenten sowie Startups zu beraten und nachmittags Konzepte für transmediale Produktionen zu entwickeln. Dabei fiel mir auf, dass der Fernsehmarkt zumindest in seinen marktwirtschaftlichen Strukturen besser als der Filmmarkt funktioniert. Produzenten sind hier nicht wie auf dem Filmmarkt auf öffentlich-rechtliche Förderungen angewiesen, aus deren Produzentenanteil i. H. v. 7,5 % des Gesamtbudgets sie sich de facto finanzieren. Die Produktion auf dem Fernsehmarkt hängt nicht von Entscheidungen der Fördergremien ab, sondern von den Zuschauern, die die Produktionen tatsächlich sehen wollen. Zugegeben, die New Economy erschien mir demgegenüber marktwirtschaftlich noch effektiver. Dass die Produkte hier tatsächlich von den Nutzern abgerufen werden, lässt sich hier schlicht noch genauer messen. Letztlich beruhen die Einschaltquoten auf dem Fernsehmarkt auf einer reinen Hochrechnung von – in Deutschland – etwa 5.000 Haushalten mit ca. 10.500 Personen. Der Konsum von Produkten, die über das Internet bezogen werden, lässt sich hingegen auf vollständigen Daten der Grundgesamtheit nachweisen. Die Masse der Nutzungsdaten kann zudem bezogen auf nur einen Nutzer und qualitativ ausgewertet werden. Dabei lassen sich die Daten in
zweifacher Hinsicht monetarisieren. Oftmals werden sie nicht nur als Datengrundlage für die Verbesserung der eigenen Produkte herangezogen, sondern bilden selbst ein kommerzielles Handelsgut. Spätestens hier wurde mir allerdings nicht nur die Bedeutung der Daten als ökonomische Grundlage der Medienökonomie, sondern auch ihre rechtliche Brisanz bewusst. Hatte ich das Urheberrecht als Währung der Old Economy annähernd verstanden, so war der rechtliche Rahmen für diese zweite Währung – des Treibstoffs der New Economy –Neuland für mich. Also begann ich eine weitere Zusatzausbildung – im Internettechnologierecht – und kündigte meinen Teilzeitjob.
Es gab noch einen zweiten Grund, die anwaltliche Beratung – zumindest zwischenzeitlich – aufzugeben. Die Idee des Mauerschau-Projektes war geboren. Tatsächlich war sie ursprünglich ein Kompromiss. Viereinhalb Jahre hatte ich bis dahin, also bis Ende des Jahres 2012, an einer Filmidee gearbeitet, die ich im Laufe meiner Ausbildung am Atelier Ludwigsburg-Paris zu einem komplexen Transmedia-Konzept ausarbeitete. Zum Ende wurde jedoch immer deutlicher, dass es gemessen an meiner Erfahrung zu komplex war. Und potentielle Geldgeber, die sich interessierten, spürten das. Enttäuscht schob ich das Konzept schließlich in die Schublade. Offensichtlich musste ich erst anhand eines kleineren Projekts beweisen, dass transmediale Produktionen funktionieren. Dafür zog ich wiederum eine andere Idee hervor. Denn als ich eineinhalb Jahre zuvor endgültig nach Berlin gezogen bin, war ich überrascht, wie stark sich die Stadt seit dem Mauerfall verändert hatte. Die Gentrifizierung zog zu dieser Zeit voll an, von der Mauer war kaum mehr etwas zu sehen und selbst der Palast der Republik wurde – zu Gunsten eines Stadtschlosses aus Spritzbetons (!) – eingerissen. Es fühlte sich für mich an, als hätte ich die interessanteste Zeit verpasst. Am seltsamsten fand ich, dass hier all die Menschen aus Ost-Berlin noch lebten, aber ich von ihrem damaligen Leben kaum mehr etwas mitbekam. Als ich das dachte, stand ich gerade an der Gedenkstätte Berliner Mauer – und da kam mir die Idee zur Mauerschau. Dieses Projekt, dachte ich, sei simpel und entsprechend einfacher umzusetzen. Und in der Tat bekam ich diesmal eine Finanzierung: eine Förderung des Medienboards für innovative audiovisuelle Medien. Aber einfach umzusetzen war es nicht.
Die Herausforderungen der Produktion der Mauerschau sowie ihre Einordnung in die – vermeintlichen – medienökonomischen Strukturen werden Thema der nächsten Blogbeiträge sein.